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Ein Leben im Elfenbeinturm

Man schämt sich für die wissenschaftliche Zunft, wenn man lesen muss, wie zwei Wissenschaftler eiskalt analysieren, dass die gängigen Hartz-4-Regelsätze nicht etwa zu niedrig sind, sondern vielmehr zu hoch. Schon die Herangehensweise der Studie ist fragwürdig: so wird nicht von einem männlichen gesunden Deutschen ausgegangen, der keine Frau, keine Kinder und keine Haustiere hat, der zwischen 18 und 65 Jahren ist, keinerlei Laster hat und völlig rational handelt.

Ein Asket? Kaum. Beschrieben wird ein stumpfer Roboter, eine leere Hülle. Menschlich kann man es nicht nennen, wie hier das Leben von Menschen vermessen und gewogen wird. Essen, trinken, schlafen. Eine Chance auf Aufstieg gewähren die Autoren der Studie dem Arbeitslosen nicht, denn einen Anzug braucht er ja nicht. Frisör? Kann man auch selber machen. Alkohol? Ist ungesund, irrational. Der Oberschicht vorbehalten.

Es ist krass, dass hier kein allgemeiner Aufschrei erfolgt, wenn auf den Schwächsten der Schwachen rumgetrampelt wird. Abgesehen von den üblichen Verdächtigen nimmt es die allgemeine Öffentlichkeit, auch hier in Klein Bloggersdorf, einfach so hin - klar, der neue Browser von Google ist ja interessanter als das Leben ganz unten.

Die Medien überschlagen sich in Meldungen zu Missbrauch von staatlichen Leistungen - kein Wunder: die Unterschicht kann sich nicht wehren, da kann man ruhig losprügeln. Völlig gefahrlos, immer mit der Garantie, dass am nächsten Stammtisch alle zustimmen und noch einen Korn trinken.

Die Verfehlungen der Oberen Zehntausend werden nur alle Jubeljahre einmal angesprochen, und dann auch nur exemplarisch. Victory-Ackermann darf ungestraft schwadronieren, dass der Staat den Banken helfen müsse, die so die Gelder der Allgemeinheit verzocken. Zumwinckel musste als warnendes Beispiel herhalten, bad luck. Einer muss ja der Dumme sein.

Noch ist es jedoch nicht so weit, dass man derlei Studien ohne Widerspruch veröffentlichen kann. Die sogenannten Wissenschaftler mussten zurückrudern, relativierten ihre Untersuchungsergebnisse: Es sei ja alles nicht so gemeint gewesen. Natürlich nicht.

Eiskalte, menschenverachtende Ideologie, getarnt als Wissenschaft - Realität an deutschen Hochschulen. Wissenschaft ohne jeglichen Anspruch, etwas mit der Realität zu tun zu haben. Die werten Herren haben schlichtweg vergessen (oder es bewusst ignoriert), dass es um Menschen geht. Und nicht um Firmen, nicht um Maschinen. Um lebende, atmende Menschen. Die nicht freiwillig arbeitslos sind, sondern keine Arbeit finden. Die aber dennoch menschenwürdig leben wollen. Und das muss ja wohl möglich sein, in einem der reichsten Länder der Erde.

Nachtrag, 21.49 Uhr: Der Morgen behandelt das Thema satirisch. Guter Mann.

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